Skip to main content

Makroökonomische Hausmeinung – Juli 2023

Das Wichtigste auf einen Blick

  • Rund 3 % globales Wachstum als Basisszenario – keine Rezession in naher Zukunft
  • Zentralbanken kündigen Ende des Straffungszyklus an – Lockerung aber noch nicht in Sicht
  • China kündigt Stimulierungsmaßnahmen an

Globaler Ausblick

Die Weltwirtschaft bleibt trotz des aggressivsten monetären Straffungszyklus der letzten 40 Jahre widerstandsfähig. Auch wenn sich die Konjunkturabschwächung fortsetzen wird, haben die Rezessionsrisiken in den letzten Monaten deutlich nachgelassen. Die Verlängerung des Wirtschaftszyklus setzt sich fort. Wir erwarten weitere Quartale mit niedrigem oder sogar negativem Wachstum, gefolgt von einer moderaten Erholung.

Die Arbeitsmärkte sind nach wie vor durch einen Nachfrageüberschuss und niedrige Arbeitslosenquoten geprägt. Dies trägt nicht zuletzt zur Verbesserung des Verbrauchervertrauens bei. Der Blick auf die wirtschaftlichen Frühindikatoren trübt die Stimmung allerdings etwas ein. Der Abwärtstrend im Verarbeitenden Gewerbe ist ungebrochen und auch der im ersten Halbjahr noch starke Dienstleistungssektor verliert allmählich an Schwung. Insbesondere höhere Finanzierungskosten und strengere Kreditvergabestandards werden die wirtschaftliche Expansion in den kommenden Quartalen bremsen.

Es steht mittlerweile außer Frage, dass die Gesamtinflation ebenso schnell sinkt, wie sie zuvor gestiegen ist. Es bestehen jedoch berechtigte Zweifel, ob sie rasch auf das von den Zentralbanken avisierte Ziel von 2 % fallen wird. Vor allem die Kerninflation ist nach wie vor zu hoch, und es besteht die Möglichkeit, dass die Zentralbanken nach einer zwischenzeitlichen Pause gezwungen sein werden, die geldpolitische Straffung wieder aufzunehmen. Aufgrund der Variabilität des zeitlichen Abstands zwischen Straffungszyklen und deren Wirkung werden die Zentralbanker noch einige Zeit auf dem schmalen Grat zwischen notwendiger und rezessionsauslösender restriktiver Politik wandeln müssen. Im Detail stellt sich die Situation in den großen Wirtschaftsregionen allerdings unterschiedlich dar.

 

„Die aktuellen Inflationsdaten sind ermutigend,
aber Fed-Chef Powell hat deutlich gemacht,
dass es noch verfrüht ist,
einen Sieg im Kampf gegen die Inflation zu verkünden.“

Michael Blümke

USA

Entgegen den allgemeinen Erwartungen ist die US-Wirtschaft in der ersten Jahreshälfte nicht geschrumpft, und die meisten Wirtschaftsdaten der letzten Zeit haben die Prognosen übertroffen. Aber auch in den Vereinigten Staaten wird sich das Wachstum verlangsamen, denn die Frühindikatoren deuten auf eine Abschwächung der zukünftigen Wirtschaftstätigkeit hin, mit einer moderaten Expansion im Dienstleistungssektor und einer Stabilisierung im verarbeitenden Gewerbe. Anzeichen für eine bevorstehende Rezession gibt es jedoch nicht. Der Immobiliensektor ist zwar nach wie vor schwach, jedoch erholen sich aktuell die Hausverkäufe. Auch die Industrieproduktion könnte die Talsohle durchschritten haben. Vollbeschäftigung und eine historisch hohe Zahl offener Stellen stärken das Vertrauen des Verbrauchers. Die persönlichen Einkommen bleiben stabil und die Ersparnisse können langsam wieder aufgebaut werden. Der nachlassende Lohndruck stützt die These, dass die Fed konkrete Fortschritte bei der Verringerung der Gesamtnachfrage und der Eindämmung des Inflationsdrucks erzielt hat. Die aktuellen Inflationsdaten sind ermutigend, aber Fed-Chef Powell hat deutlich gemacht, dass es noch verfrüht ist, einen Sieg im Kampf gegen die Inflation zu verkünden. Ob die im Juli vollzogene Zinserhöhung die letzte des aktuellen Zyklus sein wird, ist nach Aussagen der Zentralbank weiter stark datenabhängig. Fakt ist, dass die Fed mit ihrem raschen und entschlossenen Handeln bislang eine Inflationseindämmung erreicht hat, ohne einen größeren Wirtschaftsabschwung auszulösen. Die Chancen auf das sogenannte Soft-Landing werden immer realistischer.

Eurozone

Auch die Wirtschaft der Eurozone blieb in der ersten Hälfte des Jahres 2023 erstaunlich widerstandsfähig. Allerdings hat sich die bereits vor einem Monat beschriebene nachlassende Dynamik bestätigt. Die Anfälligkeit der europäischen Wirtschaft zeigt sich in der niedrigen Produktivität, den schwachen Einzelhandelsumsätzen und dem buchstäblichen Zusammenbruch des verarbeitenden Gewerbes. Der Immobiliensektor steht nach wie vor unter erheblichem Druck und die Verschärfung des Kreditvergabestandards wirkt sich grundsätzlich wachstumshemmend aus. Auf der Habenseite können der immer noch robuste Arbeitsmarkt und die deutlich gefallene Inflation verbucht werden. Allerdings ist auch hier anzumerken, dass die Kerninflation vor dem Hintergrund stark steigender Löhne unangenehm hoch bleibt. Damit steht die EZB, die deutlich später als ihr amerikanisches Pendant mit der Straffung begonnen hat, vor dem Dilemma, die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft über die Maßen belasten zu müssen, um die Inflation nachhaltig einzudämmen.

China

Die Wirtschaftsdaten aus dem Reich der Mitte fielen zuletzt eher bescheiden aus. Das kräftige Wachstum des ersten Quartals konnte in den Folgemonaten nicht aufrechterhalten werden. Der Dienstleistungssektor, der nach der Pandemie noch die treibende Kraft der Erholung war, zeigt Anzeichen der Schwäche. Anlageinvestitionen und Importe sind rückläufig, der Immobiliensektor bleibt eine Wachstumsbremse und die internationale Nachfrage ist nach wie vor schwach. Dass sich die Frühindikatoren für das verarbeitende Gewerbe, wenn auch im kontraktiven Bereich, stabilisieren, könnte als erstes positives Signal gewertet werden. Als zweites positives Zeichen deuten wir die Äußerungen von Politikern nach der Sitzung des Politbüros im Juli. Die Notwendigkeit gezielterer politischer Maßnahmen zur Wiederherstellung des Vertrauens des Privatsektors, zur Ankurbelung von Investitionen sowie zur Unterstützung des Immobiliensektors wurde deutlich hervorgehoben. Aus unserer Sicht müssen den Worten nun Taten folgen, um eine selbsttragende und solide Erholung zu gewährleisten.